Donnerstag, 7. September 2017

[Anthologie #Insekten] (1) Wenn der Nagekäfer zweimal klopft: Das geheime Leben der Insekten von Dave Goulson

auf dem Cover sind verschiedene Insekten zu sehen

Roman, 320 Seiten
Carl Hanser Verlag, Februar 2016
Genre: Sachbuch
ISBN:  978-3446447004 
Originaltitel: A Buzz in the Meadow
hier das Buch bei Amazon


Woher: Gelesen im Rahmen der Rezensionanthologie #Insekten




Erster Satz

Im Jahr 2003 kaufte ich mitten im ländlichen Frankreich ein baufälliges Gehöft mit 13 Hektar Wiesenfläche.


Zusammenfassung


Großbritanniens berühmtester Entomologe Dave Goulson kaufte 2003 das Anwesen Chez Nauche in Frankreich. Sein Ziel war, dort ein Refugium für Insekten, Tiere und Pflanzen zu bieten. Goulson berichtet in diesem Buch von Chez Nauche, wie und welche Tiere sich dort ansiedelten (oder auch nicht). Wir erfahren Wissenswertes über die einzelnen Tiere und von entomologischen und ökologischen Forschungen.






Persönlicher Eindruck



Jedes Kapitel beginnt mit einer Art Tagebucheintrag, den Goulson nach seiner morgendlichen Joggingrunde um Chez Nauche beschrieben hat. Wir erfahren, wievielen Menschen, Hunden und versch. Schmetterlingsarten er dabei begegnet ist und was ihm so durch den Kopf gegangen ist - meistens hat das mit der Natur oder Insekten zu tun. In den einzelnen Kapiteln widmet sich dann Goulson jeweils einem anderen Insekt oder Naturaspekt. Dadurch fehlt der rote Faden und die Spannung.

Goulson schreibt verständlich und mit einem leicht verschrobenen britschen Humor. Sein Buch ist sowohl unterhaltsam als vermittelt auch neues Wissen. Ein Beispiel:

Goulson mag so gut wie alle Tiere, aber z.B. Stubenfliegen möchte er nicht in der Nähe seiner Kinder haben. Warum? Durch ihre unhygienische Essweise sind sie prädestiniert, Krankheiten zu übertragen. Goulson hat das so plastisch beschrieben und da versteht man seinen Ekel und möchte selber keines von den Dingern mehr auf sich landen haben.

Der Gescheckte Nagekäfer, Namensgeber für die deutsche Betitelung, ist da anders. Er wächst als Larve extrem langsam, bohrt sich seinen Weg durch altes Holz und ernährt sich davon. Wenn er nach einem guten Jahrzehnt dann ein adulter Käfer hat er nur wenige Wochen, um einen Kopulationspartner zu finden.

Wovon Goulson auch, quasi als Hintergrundstory berichtet, ist das Forscherdasein. Was er in seiner Dissertation erforscht hat oder was andere Studenten unter seiner Führung erforschten; wie die Berufswege und Forschungsmöglichkeiten für Naturwissenschaftler verlaufen und so weiter.

 Im ersten Teil berichtet Goulson von einzelnen Insekten und ihren Eigenheiten. Im zweiten Teil berichtet er dann vom Zusammenspiel, z.B. zwischen dem Klappertopf, dem Gras und den Hummeln. Und im dritten Teil geht er dann noch einen Schritt weiter und lenkt unseren blick auf die großen Zusammenhänge der Ökologie und auf die Gefährdungen der Fauna durch Neonikotinoide, Inselhabitate und wie der Mensch schon immer die Tiere seiner Umgebung ausgerottet hat. Dieser Teil war sehr aufschlußreich, wenngleich auch deprimierend. Wie wir es geschafft haben, mit den Neonikotinoiden die Insektenwelt und die Böden zu vergiften, wie wir lauter kleine Flächen von Inselhabitaten schaffen, einzelne Biotope, die oft zu klein und zu wenig vernetzt sind, um dauerhaft Populationen zu erhalten. Dieser Teil sollte Pflichtlektüre für alle Politiker werden! Gerade der Teil um die Neonikotinoide und wie der Autor in einer Studie bewiesen hat, wie schädlich sie sich auf Hummel- und Bienenpopulationen auswirken, las sich stellenweise wie ien Krimi.

Lesen oder nicht?


Empfehlenswert! Auch wer bisher nicht wusste, wie faszinierend Insekten sind, wird durch Goulson eine neue Welt eröffnet. Ein Buch zum Staunen; verständlich und humorvoll geschrieben und sehr unterhaltsam.


3 Zitate



Die Stubenfliege, korrekt Musca domestica genannt, ist eine gräulich-schware, kleine, am ganzen Leib mit borstigen Haaren bedeckte Fliege, die dort vorkommt, wo es Menschen, Tiere und deren Dung gibt, heutzutage also quasi überall auf der Welt. Sie existiert schon seit gut 65 Millionen Jahren und hat ihre Gestalt fast nicht verändert; wirklich zu gedeihen begann sie aber erst, als die menschliche Population wuchs und sich über die ganze Welt verbreitete.  [S. 86]

Jason stand kurz vor dem Abschluss seiner Dissertation, als ich eines Abends in den Lokalnachrichten einen Bericht sah - es ging um eine Fliegeninvasion bei Portsmouth, verursacht durch eine Mülldeponie.  [Zufallszitat, S. 91]

Wenn ein Männchen ein wirklich noch jungfräuliches Weibchen findet, klettert es gleich auf ihren Rücken und versucht sich mit ihr zu paaren. Die Männchen sind nicht besonders intelligent, deshalb klettern sie oft von hinten auf das Weiblchen (fairerweise muss gesagt werden, dass das vordere und hintere Ende des Weibchens ganz ähnlich aussehen). [S. 148]




Querverweise

Am Ende des Buches Und sie fliegt doch beschreibt Goulson, wie er Chez Nauche in Frankreich gekauft hat. Dieses Buch führt also seine Erlebnisse mit Chez Nauche weiter. Wie im Vorgängerbuch erfahren wir auch hier viel über Insekten; seinem Stil ist Dave Goulson treu geblieben. Tatsächlich bin ich ja von seinem Stil so begeistert, dass er hier gleich mit zwei Büchern vertreten ist.

Dave Goulson berichtet ausführlich, warum Neonikotinoide so gefährlich sind - im Glossar hatte ich euch ja gebeten, dagegen Petitionen zu unterschreiben. Goulson beschreibt auch das Verschwinden der Bienen und wie heute schon in China von Hand bestäubt wird - wie auch im Buch Geschichte der Bienen erzählt.


Fußnote: Marco von Terranianer über die Faszination Insekten

Marco vom Blog Terrarianer hat ein unglaublich umfangreiches Wissen über die Terrarium-Haltung und ist bekannt als Autor der Kolumne „Speikobra - Der giftige Kommentar“ im leider mittlerweile eingestellten Fachmagazin „terraristik“ vom Dähne-Verlag. Er hält viele Wirbellosen, Amphibien und Reptilien, darunter auch Schaben, Käfer oder Ameisen. Mit seinem Lebensgefährten kümmert er sich dabei vor allem um Tierschutzfälle und Abgabetiere. Marcos Fußnoten findet ihr zu Wenn der Nagekäfer zweimal klopft, Käferkumpel, Ameisen-Trilogie und den Schwarmkriegen.

Marco, du hältst u.a. die Insektenarten "Brauner Rosenkäfer" und "Schwarze Wegameise". Kannst du etwas über die Haltung dieser Tiere erzählen? Worin besteht die Faszination für dich?
Insekten faszinieren mich, weil sie vielseitige Lebensweisen an den Tag legen, die von vielen Menschen leider übersehen oder gar mit Abscheu gestraft werden. Insekten sind aber eine wichtige Grundlage für das Leben aller anderen Tiere – inkl. uns Menschen. Die häufig kurze Lebensdauer dieser Tiere ist zwar schade, ermöglicht Insektenhaltern aber auch immer wieder Abwechslung. So habe ich auch schon verschiedene Gottesanbeterinnen und Gespenstschrecken (Phasmatodea), zu denen auch die Wandelnden Blätter zählen, gehalten und erfolgreich gezüchtet. Aktuell liegt mein Schwerpunkt auf der Schabenhaltung.

Der Braune Rosenkäfer (Eudicella euthalia bertherandi) und die Schwarze Wegameise (Lasius niger) sind recht genügsame Pfleglinge. Beide Arten kommen mit Temperaturschwankungen gut zurecht und lassen sich problemlos ernähren: die Larven des Braunen Rosenkäfers mit Laubwaldhumus und weißfaulem Holz, die ausgewachsenen Käfer u.a. mit Früchten. Schwarze Wegameisen fressen neben Honig gerne auch mal Insekten wie z.B. Heimchen. Schwieriger ist die Haltung von Arten, die nur geringe Abweichungen ihrer Vorzugstemperatur verkraften oder Nahrungsspezialisten sind. So benötigen manche Käferlarven einen gewissen Anteil Dung im Bodensubstrat. Für Einsteiger ist der Kongo-Rosenkäfer (Pachnoda marginata) sehr gut geeignet. Larven dieser Art gibt es sogar als Futter für Reptilien im gut sortieren Zoofachhandel. Wer sich speziell für die Käferhaltung interessiert, findet tolle Bücher auf dem Markt. Für den Einstieg empfehle ich die Käfer-Fibel von Timm Adam, erschienen im Dähne-Verlag.




Ich freue mich über eure Kommentare. Welche Insekten mögt ihr?

8 Kommentare:

  1. Hallo Daniela,

    Dave Goulson ist klasse für alle, die von "Romanen" einen gewissen Mehrwert in Form von naturwissenschaftlicher Bildung und nicht nur Unterhaltung erwarten. Seine Bücher sind daher auch keine typischen Romane und das Fehlen eines roten Fadens zwischen den Kapiteln empfinde ich persönlich daher auch nicht störend (übrigens sind neben den Erklärungen über Insekten und die Arbeit als Naturforscher auch noch die Ausführungen zum Thema Artenschutz zu erwähnen. Diese sind für mich persönlich der rote Faden in all den Büchern des Autors). Der Unterhaltungsfaktor kommt aber gewiss nicht zu kurz. Sein trockener typisch britischer Humor, den du hier ansprichst, ist genau die Art von Humor, die auch ich pflege. Vor allem die Schilderungen aus seiner Kindheit lassen mich ein wenig an meine eigenen ersten Schritte als Naturforscher zurückdenken... auch wenn bei mir nicht ganz so viele Tiere über die Klinge springen mussten und die Stromversorgung meiner Heimatstadt habe ich auch nie gesprengt... jedenfalls noch nicht. ;)

    Ich freue mich schon auf deine Rezension zum ersten Buch des Autors und werde die Themenwoche gespannt weiterverfolgen.

    Beste Grüße
    Marco

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    1. Hallo Marco,
      muss dir da in allen Punkten Recht geben.
      Das Buch bietet Unterhaltung UND man erweitert dabei sein Wissen und das mag ich auch sehr.
      Das Fehlen des roten Fadens ist mir nur so aufgefallen, weil es seinem ersten Buch anders war, ansonsten hätt ich das wohl gar nicht als Kritikpunkt aufgenommen.
      Ja, ich hab auch als Kind versucht, Libellen zu halten - und dann hat meine Oma den "Müll" entsorgt, was war ich untröstlich.

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  2. Liebe Daniela, mit deiner Insektenanthologie hast du dir wirklich viel Mühe gegeben, klasse !!. Das war sicher eine Menge Arbeit und ich finde es toll, daß du versuchst, daß Thema Insekten derart in den Fokus zu rücken.
    Ich liebe die Bücher von Dave Goulson. Das Buch über die Hummeln hat mich noch etwas mehr begeistert, vermutlich weil es nur um eine Spezies ging. Aber auch diese speziellen Insektengeschichten sind absolut faszinierend. Es gibt viele bedrohte Tierarten und jedes spielt im Ökosystem eine wichtige Rolle. Aber gerade die, die wir am wenigsten wahrnehmen, wie die Insekten, die könnten für unser Leben auf diesem Planeten mit am Wichtigsten sein. Gäbe es Ameisen, Fliegen und Dungkäfer nicht, würden überall tote Tiere herumliegen. Wie wichtig z.B. gerade diese kleinen Wesen als Müllabfuhr der Natur sind, ist enorm. Bleibt zu hoffen, daß wir beizeiten die Kurve kriegen und sich unsere Insektenwelt noch mal erholen kann !

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    1. Hallo Almuth,
      so ging es mir auch, das Hummel-Buch fand ich noch besser wie dieses hier. Ich werde auch noch sein drittes Buch lesen - Reise zu den seltensten Bienen der Welt, ich wollte hier nur nicht drei Bücher von ihm vorstellen :)
      Liebe Grüße - Daniela

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  3. Hallo Daniela, ich wußte noch gar nichts von seinem neuesten Buch. Kann ich verstehen, daß wäre etwas viel geworden, aber ich freue mich, daß es wieder was von ihm zu lesen gibt. Das ist ja gut zu wissen. Noch eins mehr für die Liste :-) Bei dem Hummelbuch erfährt man noch vieles "drumherum" und es ließ sich gut lesen. Die kleinen Insektengeschichten in seinem zweiten Buch sind seeehr spezifisch, wenn auch nicht uninteressant. Dann bin ich gespannt, wie das dritte Buch wird ! Liebe Grüße, Almuth

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    1. Hallo Almuth,
      der Titel klingt gut: Die seltensten Bienen der Welt - Ein Reisebericht.
      Ist im März rausgekommen, bisher wohl nur als eBook und gebunden.
      Goulson finde ich einen äußerst begnadeten Schriftsteller :)

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  4. Ich habe mir jetzt sein neuestes Buch gekauft. Hat schon mal gut angefangen :-) Dank dir habe ich es überhaupt mitbekommen, daß er wieder ein Buch geschrieben hat. Ich freue mich jetzt auf seine Geschichten. LG, Almuth

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    1. Hallo Almuth, das freut mich! Bei mir ist es auch schon vorgemerkt, aber ich hab mir selbst bis Ende des Jahres einen Neuzugangsstopp verordnet. Seit ich einen Bücherblog hab, kann ich mich vor Büchern kaum noch retten :D. Bin gespannt, was du berichten kannst.
      Liebe Grüße
      Daniela

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